Die Hirnfalle



Es ist unbestritten, dass die heutige Hirnforschung mit ihren gewaltigen Fortschritten viel zum Wohl der Menschen beitragen kann und wird.
Trotzdem birgt sie etwas eminent Gefährliches in sich.
Das eigentlich Gefährliche dabei ist das funktionalisieren der ganzen Leistung des menschlichen Geistes. Es wird hartnäckig übersehen, dass ein Kind unter Wölfen aufgewachsen auf vier Beinen gehen lernt, bellt und knurrt. Es lernt weder sprechen noch denken. Die ganze enorme Leistung, die ein Mensch vollbringt, wenn er eine Muttersprache lernt und zu gehen beginnt, ist in seinem Hirn alleine nicht veranlagt. Erst das soziale Gefüge macht es möglich, dass Menschen heranwachsen, die dann später so komplexe Dinge bewerkstelligen wie zum Beispiel Atomkraftwerke bauen, Symphonien komponieren, oder Kongresse leiten.
Wir suchen das Ei also sozusagen nicht im Nest. Natürlich ist das Nest die ultimative Voraussetzung, dass das Ei gedeihen kann. Doch ohne die Nestwärme wäre das ganze zum Scheitern verurteilt.
Um in dem Bild zu bleiben, könnte man das Hirn als Nest beschreiben. Den Leistungen, die es ein Leben lang vollbringen wird, gibt es die wichtige physische Grundlage. Die Nestwärme in diesem Bild, wäre dann die menschliche Kultur. Sie erst hat die Kraft, diese wundbaren Apparate der Natur soweit zu bringen, dass er anfängt zu sprechen und zu denken.
Gut man könnte nun sagen wir leben im Zeitalter der Spezialisierung. Da ist es nicht weiter schlimm, wenn die einen das Nest untersuchen und andere das Ei erforschen.
Das eigentlich Gefährliche aber kommt eben daher, dass wir diese Funktionalität, der wir in der Erforschung des Hirn begegnen nun auch noch anfangen auf das Ei zu übertragen. Wir sehen nicht, dass die Kultur auf ganz anderen Gesetzen basiert als zum Beispiel die Neuronen. Wir fangen an in Betrieben Qualitätsmanagementsysteme einzuführen, die angeblich Leistungen von Mitarbeitern messen sollen, wie das EKG Hirnströme messen kann. Wir sehen nicht, dass Leistung in einem Team eben nicht an messbaren Fähigkeiten einzelner alleine liegt, sondern im Zusammenspiel aller Mitarbeiter. Ich will hier den Neutronen nicht zu nahe treten. Auch bei ihnen liegt ein noch nicht annähernd beachtetes Leistungspotenzial im Zusammenspiel.
Das hat zur Folge, dass wir immer mehr die fundamentalen Gesetze der Menschlichen Kultur aus den Augen verlieren. Die da eben nicht die Konkurrenz, sondern viel mehr die Beteiligung als Antriebsmotor braucht. Wir trichtern den Kindern so viel Stoff als möglich in die Köpfe und hoffen damit noch effektivere Bausteine der Wirtschaft zu züchten. Wir trennen schlechte Schüler von bessern und sehen nicht, dass gerade die Zusammenarbeit von auf gewissen Gebieten Fortgeschritten und noch nicht so Fortgeschrittenen beide weiter bringen kann. Wir behandeln die Schüler immer mehr wie Neuronen und zerstören mit einem immer allmächtigeren Prüfungsdiktat für Einzelnen gerade die Zusammenarbeit. Ganz böse gesprochen, könnte man sogar das Bild brauchen, wir züchten in unseren Schulen Krebszellen, die nur noch auf ihr eigenes Gelingen aus sind und das Gewebe bedrohen werden.
Machen wir einen Sprung aus unseren sehr mechanischen Bildern von oben und nehmen ein gesellschaftliches Bild. An was liegt es, dass die alten Königreiche den neuen demokratischen Ansätzen die Stirne nicht bieten konnten? Hier begegnen wir einem weiteren Grundgesetz der Kultur; dem Vertrauen. Staaten, die die Menschen mit Misstrauen regieren, scheitern. Staaten, die in ihre Mitglieder vertrauen legen, setzen zum Siegeszug an. Man traut jedem einzelnen Menschen zu den Staat mit zu lenken, dass ist die eigentliche kulturelle Revolution. Da kommt die Nestwärme zur ganz konkreten Erforschbarkeit! Da haben wir ein nicht funktionaler Prozess, sondern ein im tiefsten Sinne wesentlicher. Wir strahlen uns sozusagen gegenseitig an, und erhoben uns so aus dem kriechen, knurren und bellen.
Wir laufen Gefahr solche grundlegenden Gesetze des Geistes und der Menschen zu übersehen, wenn wir uns zu sehr in die Moleküle stürzen. Das macht mir wirklich manchmal grosse Angst.
Bis zu der Betrachtung des Hirns können wir objektiv mechanische Gesetzmässigkeiten herausschälen. Beim Betrachter des Betrachters selber scheitert diese funktionelle Objektivität. Wir begegnen da einem Wesen. Wesen unterliegen häufig Gesetzen, die den bekannten Naturgesetzen diametral entgegen liegen. Wenn jemand jemandem etwas lehrt, hat er nachher nicht weniger Wissen, wie man das aus der Mechanik annehmen müsste, sondern beide haben sich vertieft in den vermittelten Inhalt, sowohl der Lehrende wie der Lernende.
Es gibt nichts Gefährlicheres als Geistiges mechanisch zu betrachten oder Mechanischem irgendeine Geistigkeit anzudichten. Doch genau da laufen wir Gefahr, wenn wir anfangen nach irgendwelchen Hirnbildern das Denken verstehen zu wollen. Das Hirn ist dem Denken eben nur das Nest oder eine Art Radioempfänger. Das Land des Denkens sind nicht die Neuronen, sondern die Kultur, die getragen wird durch uns alle.

Und wenn Sie jetzt finden, ich sei mit der Wärme, den Nestern und den Eiern etwas unsachgemäss umgesprungen, dann fahren Sie einfach fort mit meinen Betrachtungsansätzen. Sie werden schnell sehen, dass das Denken eben nicht so einfach nur im Hirn zu finden und zu erklären ist, wie manche Hirnforscher schon frohlocken.
Oder denken Sie der Computer, der Ihnen dies hier nun darstellt, hat auch nur ein Funken einer Ahnung, was er Ihnen vorleuchtet?

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