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Hauch

Text und Bild
Christine Scherrer



Ich wusste, ich wollte dir begegnen, dem wortlosen, bildlosen Ort, dem Tod.
Jahre, Tage, Sekunden habe ich mich darauf vorbereitet.
Vergeblich begegnete ich ihm und erkannte ihn nicht.
So viele Male konnte ich nicht leben, so viele Male blendete mich die Liebe des Todesengel.
Ein grauer Tag, Schneeflocken fallen zur Erde.
Gemeinsam durchschreiten wir ein grosses Feld der Ruhe, ein weiter Rasen.
Geschwängert vom Rauch des Krematoriums fällt der Schnee auf den Grund.
Ein kleiner Weg führt noch zur Aufbahrungshalle.
Ich drohe mir zu entgleiten.
Träge scheint die Sonne durch die bauschigen Wolken.
Wie ein grosser japanischer Tempel präsentiert sich die Leichenhalle.
Wer übt hier Zazen?
Der Aufseher öffnet die schwere Holztüre und bittet uns herein.
Ein Hauch Zeitlosigkeit umgibt mich, seltsam. Die elfenbeinfarbene Rose in meiner Hand träumt.
Der Raum ist klein, der Sarg aus warmem Holz.
Meine Persönlichkeit scheint sich in jedem Atom der Umgebung aufzulösen.
Ich sehe dem Tod ins Gesicht. Er ist unbeschreiblich.
Du liegst vor mir wie eine Puppe eines Schmetterlings,
bist einfach ausgeflogen.
Wer bist du wohl?
Eine Sehnsuchtsträne löst sich aus meinem Auge, während ich deine geschlossenen Lider betrachte.
Die elfenbeinfarbene Rose der Erinnerung löst sich und fällt träumend auf dein Herz.
Du hast ein Lächeln auf deinen Lippen.
Wissend um zu wissen,
dass ich nichts weiss, stehe ich neben dir am Sarg aus Holz.
Dein Mund lächelt so verträumt.
Welchen Ort hast du wohl besucht?
Fein gleiten meine Finger über deinen Kopf.
Dein Haar weich und silbern.
Dein Schädel so kühl, gehauen aus einem Diamant.



In deinem Haarnestchen aus weichen Silberfäden spüre ich eingebettet,
gehauen wie aus Diamant, dein Schädel, klar und kühl.
Immer wieder gleiten fragend meine Finger auf der Suche nach dir, der Kühle entlang.
In deinem Lächeln wiederspiegelt sich das schönste, die Antwort, das bist du.

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