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individuell




Man stelle sich etwas vor, dass das Individuelle an für sich ist. Es ist überall dort, wo etwas individuell ist.

Das ist ganz abstrakt betrachtet natürlich ein Unsinn, ein Paradoxon. Das individuelle als eine Kraft gegründet in der Ungeteiltheit, die sich zeigt in den Teilen.

Es ist gerade in der Pubertät, wo Menschen an dieses Grenzland stossen können. Natürlich sind rosa Wolken bei einem ersten Treffen eines anderen Individuums etwas Verklärtes. Es ist kein nüchternes Begegnen. In der Bewunderung des andern trifft man auf einen Kern. Auf den Kern des andern. Es ist ein ekstatischer Moment voller Rausch. Man trifft etwas Leuchtendes. Es durchwebt einem selber. Man trifft auf das Individuelle an und für sich.

Es ist eine Art von Befruchtung. Die Bewunderung bewirkt ein aufleuchten des anderen. Das Aufleuchten des andern bringt einem selber zur Erleuchtung. Es sind kurze Blitzartig absolut entgrenzende Erlebnisse, diese ersten Verliebtheiten.

Es ist das Tor. Das Tor durch das Paradoxon des Ichs.

Nüchtern erleben wir diese Grenze als eine undurchlässige, als eine endgültige. Wir haben nüchtern keine Möglichkeit mit unserem ich unser ich zu verlassen und uns zu treffen mit einem anderen ich. Das ist nüchtern betrachtet die Auflösung des ich.

Doch gerade in der Verliebtheit erleben wir das anders. Es ist keine unpassierbare Grenze. Es ist vielmehr ein Übergang, eine Art Nachhause kommen. Ohne sich zu verlieren geht man auf im Ich an und für sich. Man erlebt sein Ich als etwas, das seine Wurzeln in der Ungeteiltheit hat.

Auch wenn das abstrakt gesehen nicht logisch ist, ist die Kraft des individuellen eben eine Kraft des Ungeteilten. Eine Kraft, die das Bewusstsein zwar schärft aber nicht trennt. Eine Kraft die das Bewusstsein so zu sagen ausgiesst ohne das Bewusstsein zu verlieren. Hat man in der Pubertät einmal diese rosa Wolke betreten, hat man von da an im Prinzip die Geisteskarte, um immer wieder diese absolute Grenze als nicht unpassierbar zu sehen, sondern als Übergang. Man hat in seiner ersten Verliebtheit einen Schlüssel gefunden, denn man von da an im Prinzip immer brauchen kann, um jedes leidvolle Getrenntsein zu überwinden.

Nach der ersten Verliebtheit kommt die Ernüchterung. Man kollabiert wieder in seine Persönlichkeit zurück. Man steht da getrennt von der Welt. Der Schmerz ist so gross, weil unser innerstes seine Wurzeln eben gerade nicht in dieser Getrenntheit hat. Das tut unendlich weh. In diesem Schmerz holen wir die Kraft in der nächsten Ekstase nicht unter zu gehen und das Doppelgesicht der Individualität zu nutzen um das Tor voll wach zu durchschreiten.

Und wenn wir das nächste Mal jemanden sehen, der einen Moment erlebt, in dem seine Augen glänzen. Wenn wir spüren, der ist gerade voll bei sich, ganz ungetrennt. Dann verstehen wir, wieso das so ansteckend wirken kann, wieso wir selber aufglühen, wenn wir ihn sehen in seiner Verwirklichung. Und wenn wir jemand sehen, der Trotzig ist, sehen wir in seiner Trotzigkeit etwas, das so zu sagen die Brücke kurz vor dem Tor ist. Nehmen wir sie ernst seine Trotzigkeit, kann der jemand sein Tor finden und sich verwirklichen. Wir werden es jedesmal spüren als einen eigenen Sternenfunken in uns selber, wenn wir den anderen nicht dirigierten, sondern ihm helfen seinen eigenen Weg zu finden. Dieser Weg geht auch durch unser Herz.



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